Buchtipp des Monats von Nadja Sarwat
| 15. Juni 2021Führende Medienfrauen wie Arabella Kiesbauer, Corinna Milborn oder Nana Siebert kommen in der aktuellen Publikation "Frauen Medien Macht" von Nadja Sarwat zu Wort. Sie alle plädieren für eine neue, andere Medienkultur. Über die Hintergründe spricht die Autorin im Interview.
uni:view: Der Titel Ihrer jüngsten Publikation "Medien Frauen Macht" sagt schon einiges über den Inhalt aus. Was ist Ihr persönliches Anliegen, Frauen in der Medienwelt hervorzuheben?
Nadja Sarwat: Mein Arbeitstitel war: "Superheldinnen der Medienwelt". Frauen sind zwar immer öfter Machtfaktoren in Newsrooms. Andererseits sind sie massiv von Diskriminierungen wie Pay Gap, Gläserne Decke, sexueller Belästigung etc. bedroht. Im Studium sind Frauen noch in der Mehrheit: ca. 70 Prozent der Journalismus-Absolventinnen Europas sind weiblich. Im Job angekommen, wurde hierzulande noch nicht einmal die magische 50-Prozent Marke geknackt. Mit Höhe und Prestige der Position sinkt der Frauenanteil noch weiter. Am obersten Ende der Gehaltspyramide – einsame Spitze: Dort kann man Frauen mit der Lupe suchen. Folglich sind die Frauenbilder, die Medien vermitteln, oft noch stereotyp.
Medien spiegeln gesellschaftliche Verhältnisse nicht nur wider, sie haben auch massiven Einfluss auf diese. Ändern wir die Medienwelt, ändern wir die Welt. Es geht also um Empowerment und soll Mut machen, trotzdem ja zur Medienwelt zu sagen.
20 Jahre Abteilung Gleichstellung und Diversität – das gehört gestreamt gefeiert!
Die Abteilung Gleichstellung und Diversität feiert ihr 20-jähriges Jubiläum online am 16. Juni, 17-18.30h. Thema der Feier sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Gleichstellungsarbeit an der Universität Wien. Durch das Programm begleitet das portraittheater mit musikalischer Unterstützung. Zudem wird die Festschrift, die alle Jubiläumsaktivitäten noch mal zusammenführt, präsentiert. Feiern Sie mit! Hier finden Sie alle Informationen zur Feier und zur Anmeldung. (© derknopfdruecker.com)
uni:view: Sie haben viele Interviews mit Medienfrauen aus Österreich und Deutschland geführt darunter Arabella Kiesbauer, Corinna Milborn oder Nana Siebert. Was eint Ihre Interviewpartnerinnen, außer dass dass sie alle in der Medienwelt präsent sind?
Sarwat: Ihre Plädoyers für eine neue, andere Medienkultur. Die den privilegierten, weißen Mann nicht mehr als Prototyp des (Medien-)Menschen voraussetzt. Rezepte zur Umsetzung, wie einer 50-Prozent-Quote, liegen seit langem auf dem Tisch. Man müsste sie nur konsequent anwenden, doch der Widerstand dagegen ist groß.
Noch schlechter als um Gendergerechtigkeit ist es um ethnisch-kulturelle Diversität in Österreichs Medien bestellt: Einer neueren Studie zufolge liegen wir bei etwa sechs Prozent. Welche Rolle Haut- und Haarfarbe von Frauen für Medien und Werbewirtschaft wirklich spielt, darüber spricht TV-Star Arabella Kiesbauer sehr anschaulich.
uni:view: "Wer in den Medien präsent ist, bestimmt, wie wir die Welt sehen", sagt der erste Satz im Klappentext Ihres Buches. Wie gehen Ihre Interviewpartnerinnen mit dieser "Macht" um?
Sarwat: Die eigene Wirkmächtigkeit als Gestaltungsmöglichkeit und Teilhabe an Medien und Gesellschaft wird von allen als positiv und sinnstiftend im Sinne von Selbstverwirklichung empfunden. Der Beruf ist für sie Berufung. Also mehr als ein Job. Sie denken Medien neu und anders und rufen zu mehr Gelassenheit, einer gesunden Fehlerkultur für Frauen und weiblicher Solidarität auf. Oder, wie Laura Karasek es formuliert: weiblicher Komplizenschaft.
Andererseits ist Präsenz nicht automatisch mit Handlungsmacht verbunden. Exponiertheit macht auch oder gerade Medienstars vulnerabel. Das reicht von Hassbotschaften im Netz bis hin zum Briefbombenanschlag, wie jenen eines Rechtsradikalen auf Arabella Kiesbauer. Seither kämpft sie als Integrations-Botschafterin gegen Rassismus.
uni:view: Sind Frauen in der Medienwelt bereits angekommen, Ihrer Meinung nach?
Sarwat: Medien haben ihrer demokratiepolitische Verantwortung entsprechend als oberste Informationsinstanzen die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu repräsentieren. Sie müssen "bunter" und vielfältiger werden, wie ihr Publikum, das sich stark gewandelt hat. Verharren Medien in alten Mustern, produzieren sie am Publikum vorbei. Es ist für die Medien also eine Überlebensfrage. Überkommene Bilder und Vorstellungen brechen überall auf, sie ändern sich gerade rasant.
Auch hiesige Branchen-Riesen reagieren: In den ZIB-Nachrichten muss neuerdings gegendert werden. Der ORF hat eine "Fifty Fifty Challenge" eingeführt, die mangelnde Präsenz weiblicher Expertinnen im öffentlich-rechtlichen Sender beheben soll. Ein Manko, das zuvor auch in meinem Buch konstatiert wurde.
Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten Leser*innen zur Verfügung:
1x "Medien Frauen Macht" von Nadja Sarwat
1x "Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert" von Caroline Criado-Perez
uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren Leser*innen?
Sarwat: Ich empfehle "Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert" von Caroline Criado-Perez. Inspiriert von einem meiner Teenager-Söhne. Der fand es so spannend, dass er es all jenen unter seinen Peers empfehlen möchte, die noch glauben, dass in unserer Gesellschaft bereits Gender-Gerechtigkeit hergestellt wäre.
uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Sarwat: Ein ganz wunderbares Buch! Wer sich mit Argumenten "aufmunitionieren" will im Diskurs: Voilá. Denn es beschreibt sehr anschaulich, wie Frauen in allen Lebensbereichen von strategischen Diskriminierungen bedroht sind, weil die Big Data-Sammlungen fast ausschließlich auf männlich dominierten Daten beruhen. Die so entstandenen Wissenslücken erzeugen lange Warteschlangen vor Klos bis zum überdimensionierten Handy, das für Frauenhände schwerer zu handhaben ist. Besonders krass lesen sich die Auswirkungen auf die Medizin. Denn sie kosten Menschenleben.
uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Sarwat: Noch vor Lektüre des letzten Satzes kann man hier sicher die schockierenden Fakten zur männerdominierten Medizin nennen. Medikamente werden für den Prototyp "Junger Mann, 70 kg schwer" entwickelt. Auf viele davon sprechen weibliche Körper gar nicht an. Spezifische Frauenleiden scheinen niemanden zu interessieren: geringe Chance auf Finanzierung führen zu weniger Studien in diesem Bereich. (td)
Nadja Sarwat forscht und lehrt am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, zudem ist sie als freie Journalistin tätig. Ihre Arbeiten wurden mehrfach für Qualitätsjournalismus ausgezeichnet. Zu ihren (Forschungs-)Schwerpunkten zählen u.a. Qualitätsjournalismus und Medienforschung, Kultur- und Gesellschaftspolitik, Media Celebrity Culture sowie Gender Diversity Self/Empowerment.