Grundlagenforschung: Weichen für Österreichs Zukunft stellen

Die ÖAW und die Universität Wien sind auf vielfältige Weise miteinander verbunden, u.a. durch erfolgreiche Kooperationsprojekte und ForscherInnen, die beiden Institutionen angehören. Das Ziel: Österreichs Grundlagenforschung stärken und unser Land für die Zukunft rüsten. Rektor Heinz W. Engl und ÖAW-Präsident Anton Zeilinger appellieren an die neue Regierung.

Damit Österreich die aufgebauten Stärken als Forschungsstandort halten und weiterentwickeln kann, sind – als wichtiger Teil des neuen Regierungsprogramms – weitere Investitionen in die Forschung und die dazugehörige Infrastruktur notwendig, so der Rektor der Universität Wien, Heinz W. Engl, und der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Anton Zeilinger, im Rahmen eines gemeinsamen Pressefrühstücks mit VertreterInnen österreichischer Medien im Kurt-Gödel-Hörsaal an der Fakultät für Physik der Universität Wien.

Die beiden Herren an der Spitze der eng miteinander kooperierenden Forschungsinstitutionen plädieren für eine Stärkung der Grundlagenforschung in Österreich: In der hochkompetitiven und global ausgerichteten Forschungscommunity wird Österreich nur mit einer nachhaltig besser dotierten Grundlagenforschung präsent bleiben. "Eine jährliche Steigerung der Mittel für Grundlagenforschung um 10 Prozent ist eine entscheidende Voraussetzung dafür", so Anton Zeilinger. Selbiges gelte für die Investitionen in die tertiäre Bildung, fügt Rektor Heinz W. Engl hinzu: "Nur so kann das Regierungsziel für 2020, nämlich zwei Prozent des BIP in den tertiären Bildungsbereich zu investieren, auch erreicht werden."


"Wir arbeiten daran, dass eine neue Bundesregierung unsere Appelle ernst nimmt. Die notwendige Exzellenz ist da, nur werden wir langfristig international nicht mithalten können, wenn die Budgetmittel nicht ansteigen", so der Rektor. Innovationen passieren dort, wo in Grundlagenforschung investiert wird, wie es viele asiatische Universitäten vormachen – der Rektor hat kürzlich Universitäten in Taiwan besucht, die sich erfolgreich positionieren. Rankings wie das aktuelle Times Higher Education Ranking nehme er zwar nicht ganz so ernst – "ob wir nun auf Platz 162 oder auf Platz 170 sind, hängt letztlich von wenigen Kommastellen Unterschied bei einigen Kriterien ab" – und Verbesserung in Rankings sei kein Selbstzweck, aber man müsse natürlich auch diese im Auge behalten.



Österreich hat Forschungsexzellenz

Dass Österreichs Forschung Potenzial hat und unsere WissenschafterInnen international konkurrieren können, zeigt sich in den Erfolgen heimischer WissenschafterInnen im derzeit laufenden 7. EU-Forschungsrahmenprogramm: Die Rückflussquote Österreichs liegt bei 128 Prozent. Ein weiteres Beispiel ist die erfolgreiche Einwerbung hoch dotierter Grants. Die Universität Wien und die ÖAW halten derzeit bei jeweils 21 ERC Grants seit Einführung dieses EU-Förderprogramms 2007.

Jedoch sei eine Stärkung der Grundlagenforschung die Voraussetzung, um in den Stärkefeldern internationale Themenführerschaft übernehmen zu können, sind sich der Rektor der Universität Wien und der Präsident einig. "Spitzenforschung in Österreich gelingt, wenn die richtigen Weichen gestellt werden: Damit auch weiterhin internationale Drittmittel eingeworben werden, sind eine kontinuierliche Grundfinanzierung der Forschung und die Förderung von Exzellenz in Österreich notwendig, denn starke, nationale Forschungsstrukturen sind die Voraussetzung für die erfolgreiche Einwerbung der EU-Fördermittel", so der Rektor: "Die ERC-Grants sind die Spitze; um solche Top-Förderungen zu erreichen, braucht man eine solide, kompetitive Grundfinanzierung der Forschung, darüber hinaus einen gestärkten FWF."

Thema für das nächste Regierungsprogramm

Grundlagenforschung sei die Basis für Innovationen, und quantitativ ausreichende und qualitativ hochstehende Grundlagenforschung ein unumstößlicher Bestandteil einer gut funktionierenden Innovationsinfrastruktur, so Engl und Zeilinger.

Hochwertige Arbeitsplätze entstehen dort, wo es exzellente Grundlagenforschung gibt. Grundsätzlich sei also staatliches Handeln gefordert, um die positiven Effekte, die Investitionen in Forschung und Technologieentwicklung auf Wirtschaft und Gesellschaft haben, auch zu lukrieren.


In seiner Rolle als Präsident der ÖAW –  der Quantenphysiker ist auch Professor an der Universität Wien – sieht sich Anton Zeilinger als Vertreter aller Wissenschaftsbereiche Österreichs. Er möchte die Kooperationen mit österreichischen Universitäten weiter ausbauen, denn: "Wir müssen alle an einem Strang ziehen, um für Österreich wieder jene Spitzenposition in der Welt zu erlangen, die wir vor dem 2. Weltkrieg und den Schrecken des Nationalsozialismus innehatten." Er fordert von der österreichischen Regierung, nicht nur Lippenbekenntnisse abzugeben, sondern konkrete Zahlen vorzulegen, wie die Forschungsinvestitionen bis 2020 gesteigert werden sollen. "Warum ich mich dafür einsetze? Weil Investition in die Grundlagenforschung das wichtigste Werkzeug ist, um den jungen Menschen in diesem Land Zukunftschancen zu eröffnen."



Vergleich Österreich-Schweiz

In der Schweiz ist Grundlagenforschung dreimal höher dotiert als in Österreich. Die Zahlen: In Österreich wird die Grundlagenforschung durch den FWF mit jährlich 196 Mio. Euro gefördert, die anwendungsorientierte Forschung durch den FFG mit 427 Mio. Euro. Die Situation in der Schweiz ist genau umgekehrt: Der Schweizer Nationalfonds (SNF) schüttet 612 Mio. Euro für Grundlagenforschung aus, die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) 126 Mio. EUR für konkrete Anwendungsforschung. Investitionen in die Grundlagenforschung rechnen sich jedoch: Laut dem aktuellen "Global Competitiveness Report 2013-2014" des Weltwirtschaftsforums bleibt die Schweiz weiterhin die wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft weltweit. Deutschland verbessert sich von Rang 6 auf Rang 4, Österreich bleibt auf Platz 16.

"Die Universität Wien sollte sich mit der Universität München und der Universität Zürich vergleichen können, auch beim Budget", so Rektor Heinz W. Engl. Die Universität Wien leide an der Situation, in einigen Studien keine angemessenen Betreuungsverhältnisse anbieten zu können – mit Folgen für die Qualität. "Wir haben bereits in der vergangenen Leistungsvereinbarungsperiode nachgewiesen, dass die Universität jährlich 100 Mio. Euro mehr benötigt."


Warum gelingt es den Universitäten nicht, dass ihre Forderungen von der Regierung umgesetzt werden?
Heinz W. Engl: "We keep on trying", wie man so schön sagt. Vielleicht liegt der Grund darin, dass es für die  breite Öffentlichkeit nicht so einsichtig ist, dass die Investition in Grundlagenforschung notwendig ist. Darum setzt die Universität Wien auch verstärkt auf Maßnahmen in der Öffentlichkeitsarbeit. Auch unser Jubiläumsjahr 2015 wollen wir dazu nutzen, den Menschen zu vermitteln, was aus der Grundlagenforschung an der Universität Wien alles entstanden ist, das wir uns heute nicht mehr aus dem Alltag wegdenken können. Wir müssen noch mehr tun, um letztlich den WählerInnen zu erklären, warum unsere Forderungen an die Regierung wichtig sind.

Was passiert, wenn sich die Budgetmittel für die Universitäten und die Grundlagenforschung nicht erhöhen?

Anton Zeilinger: Ich kann Ihnen sagen, was dann nicht passiert. Es kommt nicht dazu, dass junge Menschen aus der ganzen Welt nach Österreich kommen wollen, und hier u.a. den Wirtschaftsstandort langfristig sichern. Es kommt nicht dazu, dass Hochtechnologiebetriebe hierbleiben, denn sie werden keine qualifizierten MitarbeiterInnen finden. Wollen wir in der Zukunft ein Hochtechnologieland sein oder ein Dienstleistungsland? Dafür die Weichen zu stellen, erfordert nicht einmal wirklich große Summen. Die neue Regierung hat jetzt die Chance, sich in die Geschichtsbücher der Zukunft zu schreiben.

Lassen sich Investitionen in Naturwissenschaften wirtschaftlich leichter argumentieren als jene in die Geistes- und Sozialwissenschaften?
Heinz W. Engl: Eine der großen Stärken der Universität Wien liegt gerade in der Kombination von Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften – und dass wir, u.a. mit dem Instrument der Forschungsplattformen, Anreize für interdisziplinäre Zusammenarbeit schaffen. Zu einem erfolgreichen Wirtschaftsstandort gehört mehr als nur Technologie – ein Beispiel ist unsere Sinologie: Früher als Orchideenfach bezeichnet, sind heute Menschen, die sich mit China auskennen, in der Wirtschaft hochgefragt. Oder unsere Archäologie, unsere Tibetologie, die zu den stärksten der Welt gehören: Das muss sich ein Kulturland wie Österreich auch leisten können.



Forschungskooperationen zwischen Universität Wien und ÖAW


Die ÖAW und die Universität Wien haben bereits zahlreiche erfolgreiche Kooperationen, beispielsweise auf den Gebieten Quantenphysik oder historisch-kulturwissenschaftlichen Forschungen. Sie werden künftig ihre Kooperationen intensivieren. Eine neue Initiative der ÖAW ist etwa das ab 1. Jänner 2014 eingerichtete "Österreichische Zentrum für Digitale Geisteswissenschaften" unter der Leitung von Gerhard Budin, Forscher am Zentrum für Translationwissenschaft der Universität Wien und am Institut für Corpuslinguistik und Texttechnologie (ICLTT) der ÖAW. (red)