Kastalia: "Geschlechterinklusive Sprache ist Machtfrage"

Kastalia im Arkadenhof der Universität Wien

Die Nymphe Kastalia ist als Statue im Arkadenhof der Universität Wien verewigt und weiß als Zeitzeugin – im Namen der Abteilung für Gleichstellung und Diversität – der letzten hundert Jahre so einiges zu berichten. Im Interview räumt sie mit einem Mythos auf: Geschlechterinklusive Sprache ist nicht nur eine Frage der Kosmetik und zerstört keinesfalls die deutsche Sprache.

Geschlechterinklusive Sprache ist eine zentrale Forderung in der Gleichstellung. Aber nur, weil wir ein "innen" an Wörter anhängen, ändert sich doch die gesellschaftliche Machtverteilung nicht?
Kastalia:
Stimmt. Aber wir sind es gewohnt, Machtverhältnisse auch an der Sprache zu erkennen. Das fängt bei einfachen Dingen an wie "Wen grüße ich zuerst in einer E-Mail?" Wenn wir anders reden, fangen wir auch an, die Dinge anders zu sehen – und dann werden Räume geschaffen, in denen neue Möglichkeiten entstehen.  Wir sprechen ja nicht umsonst von geschlechterinklusiver Sprache. Sprache zeigt uns nämlich, wer dazu gehört und wer nicht. Und nur wer explizit genannt wird, also dabei ist, hat die Chance, ein Stückchen vom Machtkuchen zu bekommen.

Frauen sind im generischen Maskulinum doch mitgemeint – sind sie dann nicht dabei?
Kastalia:
Ach, das generische Maskulinum funktioniert aus meiner Sicht einfach nicht. Das grammatikalische Geschlecht mag etwas anderes sein als das Geschlecht einer Person, aber losgelöst voneinander sind sie eben nicht. Würden wir im generischen Femininum schreiben, wären wohl die meisten Männer empört und würden sich nicht mitgemeint fühlen. Wenn wir in der männlichen Form reden, dann sehen wir auch Männer vor unserem inneren Auge und denken Frauen – oder nicht-binäre Personen – nicht mit. Wir glauben nur, dass die männliche Form neutral ist, weil wir es gewohnt sind, dass der Mann bei uns die gesellschaftliche Norm ist – und alle anderen Geschlechter Abweichungen von dieser Norm. Genau das kann mit geschlechterinklusiver Sprache aufgeweicht werden: weil dann alle Geschlechter, die gemeint sind, gleichwertig nebeneinanderstehen.

Diese ganzen Sternchen und Gaps stören aber schon beim Lesen – und aussprechen kann man sie gar nicht!
Kastalia:
Gerade die deutsche Sprache mit Wörtern wie Donaudampfschifffahrtsgesellschaft sollte eigentlich nicht mit Lesbarkeit daherkommen – das Wort wäre doch einfacher zu lesen, wenn es mal von einem Sternchen unterbrochen wäre! Natürlich ist es wichtig, dass Texte gut gelesen werden können. Wo Sternchen und Gaps tatsächlich Probleme verursachen können, ist zum Beispiel beim Vorlesen durch Screenreader – wobei auch diese Programme lernen und sich anpassen. Aber diese Art der Lesbarkeit ist selten gemeint, wenn dieses Argument gegen geschlechterinklusive Sprache vorgebracht wird. Zentral bei der Lesbarkeit ist doch das: Wir wollen verstehen, was und wen Texte wirklich meinen. Texte im generischen Maskulinum sind in diesem Sinne eigentlich weniger lesbar als Texte, die das Sternchen verwenden, weil wir alle meinen, aber nur Männer nennen. Im Sprechen bedeutet das ein bisschen mehr Umstellung als im Schreiben, aber alles, was es braucht ist einfach eine kurze Pause, wo das Sternchen ist. Der die Student in. Liebe Leser innen. Das ist zu schaffen und nur eine Frage der Gewohnheit.

Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Abteilung Gleichstellung und Diversität stellen wir vor:
Frauenförderungs- und Gleichstellungsplan der Universität Wien: Leitlinie und Empfehlungen zum geschlechterinklusiven Sprachgebrauch in der Administration der Universität Wien

Der Genderstern (*) und der Gender Gap (_) sind die am weitesten verbreiteten Möglichkeiten, geschlechterinklusiv zu formulieren und nicht-binäre Menschen mitzudenken. Das Binnen-I oder Doppelformulierungen bleiben dagegen binär. An der Universität Wien wird die Verwendung des Gendersterns in der Verwaltung empfohlen, also zum Beispiel: Der*die Studierende wird von Professor*innen betreut. Empfehlungen für die tägliche Sprachpraxis tragen aktiv zur Gleichstellung aller Geschlechter und zu einer wertschätzenden Kommunikation bei. Die Leitline ist eine Hilfestellung, damit gesetzliche Vorgaben in der alltäglichen Kommunikation von Studierenden und Mitarbeiter*innen gut umgesetzt werden.

Aber manche Lösungen für geschlechterinklusive Sprache sind doch grammatikalisch schlicht falsch – Studierende, zum Beispiel, studieren doch nicht jede Sekunde ihres Tages, wie es das Partizip nahelegt. Zerstört Gendern nicht die deutsche Sprache?
Kastalia:
Student*innen zu schreiben ist also unlesbar und Studierende ist falsch. Tja, dann müssen wir wohl beim generischen Maskulinum bleiben … Sarkasmus beiseite, Grammatik soll uns helfen, uns präzise auszudrücken. Aber keine Grammatik ist in Stein gemeißelt, weil Sprache nicht statisch ist. Wir haben kein Problem mit Wörtern wie Computer oder Handy. Niemand beschwert sich, dass Mails gesendet und nicht elektronische Briefe gesandt werden, aber eine veränderte Verwendung von Partizipien im Sinne der Gleichstellung soll ein Problem sein? Das Leben verändert sich, und Sprache muss da mithalten. Wenn aber Vertreter*innen von geschlechterinklusiver Sprache vorgeworfen wird, Sprachpolizei oder Political-Correctness-Sheriffs zu spielen, wird nur mehr darüber geredet, wie gesprochen werden soll und nicht darüber, was gesellschaftlich marginalisierte Gruppen damit sagen: Wir wollen auch sichtbar sein und überall mitgedacht werden!

Die Nymphe Kastalia ist auf der Flucht vor der sexuellen Belästigung des Gottes Apollo in eine Quelle gestürzt, die danach sprichwörtlich zur Inspirationsquelle für vor allem männliche Dichter wurde. Seit hundert Jahren ist sie als Statue im Arkadenhof der Universität Wien zur Ruhe gekommen. 2009 hat sie sich angesichts der fehlenden Repräsentation von Wissenschafterinnen im Arkadenhof das letzte Mal zu Wort gemeldet, um deutlich zu machen, dass sie genug hat. Nun ist es dem Team der Gleichstellung und Diversität gelungen, sie für eine Interviewreihe zum Thema Mythen der Gleichstellung zu gewinnen.