Kurz gefragt: Wer sind die Nobelpreisträger 2013?

Heuer gibt es drei Chemie-Nobelpreisträger – einer davon ein gebürtiger Wiener, der 1938 in die USA flüchtete. Den Nobelpreis in der Kategorie Physik erhielten François Englert und Peter Higgs. Ein Chemiker und ein Physiker der Universität Wien kommentieren die Entscheidung der Nobelpreis-Jury.

uni:view: Kurz gefragt: Herr Prof. Kautek, was sagen Sie als Chemiker zur Entscheidung der Nobelpreis-Jury?

http://online.univie.ac.at/images/88668.jpgWolfgang Kautek, Vorstand des Instituts für Physikalische Chemie der Universität Wien: Martin Karplus, 1930 in Wien geboren, ist ein österreichisch-US-amerikanischer Physikochemiker. Am 9. Oktober 2013 wurde ihm gemeinsam mit Michael Levitt und Arieh Warshel "für die Entwicklung von Multiskalenmodellen für komplexe chemische Systeme" der Nobelpreis für Chemie zuerkannt. Er promovierte beim zweifachen Nobelpreisträger Linus Pauling am California Institute of Technology. Seine Leistung erbrachte er auf dem Gebiet der physikalischen Chemie, insbesondere im Bereich der chemischen Dynamik, der Quantenmechanik und der Moleküldynamik-Simulation von biologischen Makromolekülen. Seine bekannteste Arbeit ist die sogenannte "Karplus-Beziehung", die in der NMR-Spektroskopie die Abhängigkeit der Kopplungskonstante vom Diederwinkel zwischen den koppelnden Kernen beschreibt und dadurch die Bestimmung der Konformation von Proteinen erlaubt.

Karplus publizierte die erste Moleküldynamik-Simulation eines Proteins, des "Bovine Pancreatic Trypsin Inhibitors (BPTI)". Durch seine bahnbrechende Hybridtechnik kann man die Dynamik großer Moleküle in kürzeren Computerzeiten berechnen, indem man z.B. den Cofaktor eines Enzyms quantenchemisch, den größten Teil der gefalteten Polypeptidketten dagegen klassisch berechnet und die fluide Umgebung als homogenes Dielektrikum behandelt. Dadurch konnte ein universelles Programm für die Berechnung der Chemie des Lebens entwickelt werden, welches auch auf alle anderen Gebiete der Chemie, wie z.B. der Entwicklung von Solarzellen, von technischen Katalysatoren und Medikamenten, angewandt werden kann.

Ich selbst lasse mich bei der Vergabe des Chemie-Nobelpreises immer überraschen und hatte auch heuer keine speziellen Favoriten ... Es gibt so viele hervorragende Kollegen!

› Chemie-Nobelpreisträger 2013
› Scientific Background: Development of multiscale models for complex chemical systems



uni:view: Kurz gefragt: Was sagt der Physiker zur Vergabe des Physik-Nobelpreises an François Englert and Peter W. Higgs?

André H. Hoang, Gruppensprecher der Teilchenphysik, Fakultät für Physik: Die wissenschaftlichen Arbeiten von François Englert und Peter W. Higgs waren essenziell bei der Entwicklung einer theoretisch konsistenten Theorie für die Beschreibung der Massen der elementaren Bausteine der Materie und deren Wechselwirkungen: die Quarks, Leptonen und Austauschteilchen der schwachen Wechselwirkung.  Die resultierende Theorie, heute bekannt als das Standard-Modell der Elementarteilchenphysik, ist bis heute die Grundlage von wissenschaftlichen Arbeiten in der Teilchenphysik. In den Arbeiten von François Englert (zusammen mit seinem mittlerweile verstorbenen Kollegen Robert Brout) und Peter W. Higgs war die theoretische Konsistenz untrennbar verbunden mit der Existenz eines elektrisch neutralen skalaren Bose-Teilchens. Im Rahmen des Standardmodells existiert dieses Bose-Teilchen ebenfalls und wird das "Higgs-Boson" genannt.

Durch seine Quanteneffekte ist das Higgs-Boson indirekt bei praktisch jeder theoretischen Berechnung im Standardmodell relevant – entweder durch nachweisbare numerische Beiträge oder um Berechnungen überhaupt eindeutig ausführen zu können. Seit der Entwicklung des Standardmodells ist das Higgs-Boson allen Teilchenphysikern also als "guter alter Freund" wohlbekannt. Jedoch gelang es erst im Juli 2012 bei den ATLAS- und CMS-Experimenten am Large-Hadron-Collider (LHC) beim CERN (Genf, Schweiz), das Higgs-Boson als real existierendes Teilchen nachzuweisen. Nur am LHC konnte genügend Energie produziert werden und nur dort waren ausreichende Analyseinstrumente vorhanden, um zu beweisen, dass das Higgs-Boson ein wirkliches Teilchen ist und nicht nur ein theoretisch nützliches Konzept.

Sehr überraschend war die Entscheidung nicht, denn eigentlich gab es 2012 kein anderes Physik-Ergebnis, das für ein gesamtes Forschungsfeld wie die Teilchenphysik mehr Gewicht und Bedeutung gehabt hätte als der experimentelle Nachweis des Higgs-Bosons beim LHC. Für Spannung sorgte allerdings die Frage, ob der Physik-Nobelpreis heuer auch in irgendeiner Form an die Experimente am LHC gehen würde – dafür hätte das Nobel-Komittee seine Statuten ändern müssen, denn nur der Friedensnobelpreis kann an Institutionen verliehen werden. Dies ist nicht geschehen, und ich denke, das war rückblickend auch die richtige Entscheidung, da der experimentelle Nachweis des Higgs-Bosons letztlich auf der Arbeit der vielen Experimentalphysiker am LHC, aber auch vieler Theoretiker beruht, welche die komplizierten notwendigen Berechnungen möglich gemacht haben.

Physik-Nobelpreisträger 2013
› Scientific Background: The BEH-Mechanism, Interactions with Short Range Forces and Scalar Particles



* Bildrechte: Foto 1:
Harvard University, Foto 2: S. Fisch, Foto 3: Wikimedia, Foto 4: Pnicolet, Foto 5: G. M. Greuel, Fotocollage: Universität Wien