Sprache in Zeiten von Corona: Ängste und "Emokratie"

Bei der Online-Diskussion zur Semesterfrage 2020 "Wie wirkt Sprache?" wurden der politische Diskurs und die Berichterstattung in der Corona-Krise analysiert. Das Fazit der Expert*innen: Ängste wurden in der Kommunikation bewusst eingesetzt, der nationale Diskurs erlebte ein Revival.

Den vielzitierten Babyelefanten brachte STANDARD-Moderatorin Lisa Nimmervoll gleich zu Beginn ins Spiel: Der symbolische Abstandhalter ist nicht nur ein "Austriazismus", sondern wurde am Montag, 22. Juni, auch zwischen den Expert*innen eingehalten. Anstelle der Podiumsdiskussion im Großen Festsaal gab es Covid-19-bedingt in diesem Semester zum ersten Mal eine Online-Diskussion, die im Forum+ auf "derstandard.at" übertragen wurde. Die Diskutant*innen trafen sich in der Sky Lounge der Universität Wien am Oskar-Morgenstern-Platz, um – mit genügend Abstand – das Thema "Sprache in Zeiten von Corona" zu diskutieren. Wer nicht live dabei war, kann die gesamte Veranstaltung hier nachsehen

Sprache in der Krise noch wichtiger

Sprachsoziologin Ruth Wodak analysierte in ihrem ersten Statement die Besonderheiten des Diskurses in der Corona-Krise. Vor allem in der ersten Phase habe sie in Österreich einen sehr nationalistischen Diskurs erlebt, der eine Rückkehr zu altem Grenzen-Denken mit sich brachte: "Es hieß immer nur 'Wir' und 'Liebe Österreicherinnen und Österreicher', europäische Städte wie Bergamo und Madrid wurden zur Verunsicherung und Angstmache verwendet."

Jörg Matthes vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft erklärte, dass Sprache in Zeiten einer Pandemie eine noch größere Bedeutung habe: "Wenn physische Treffen nicht möglich sind, werden Worte umso wichtiger." Laut Matthes fand in den ersten Wochen des Lockdown eine sehr monothematische Debatte statt, die von wissenschaftlichen Inhalten geprägt war und von den Medien auch so übernommen wurde.

An dieser Stelle knüpfte Politikberater Thomas Hofer an, der ebenfalls eine "Message Unity" der ersten Lockdown-Phase konstatierte, die jedoch in der zweiten Phase des Lockdown verloren ging: "Hier ist der Regierung die Kontrolle über den Diskurs zunehmend entglitten."

Angst als Steuerungselement

Das Thema Angst bildet für alle drei Expert*innen einen entscheidenden Faktor im Krisendiskurs. Jörg Matthes: "Angst ist ein stetiges Mittel der politischen Kommunikation. Politiker*innen erzeugen Ängste und präsentieren sich selbst als Lösung." Thomas Hofer nannte das bewusste Spiel mit Emotionen, um die politische Agenda zu steuern, eine Form von "Emokratie". Ruth Wodak spannte den Bogen zur Sündenbock-Konstruktion, die Angst bewusst instrumentalisiert und in Wörtern wie "Chinavirus" zu finden ist.

Warum Verschwörungstheorien in der Corona-Krise besonders viel Aufmerksamkeit bekamen, analysierte Kommunikationswissenschafter Jörg Matthes: "Es gab sehr viel Nährboden für diese Theorien. Wir leben in einer polarisierten Gesellschaft mit starkem Vertrauensverlust in Institutionen. Durch die einseitige Kommunikation in der ersten Lockdown-Phase wurden die 'Skeptiker' bestärkt, sich einfache Erklärungen in Verschwörungstheorien zu suchen." Sprachsoziologin Ruth Wodak zur Attraktivität dieser Theorien: "Sie bieten ein Narrativ, eine 'Story', mit der sich manche Menschen gerne zufriedengeben."

 
Dolmetscherin Elke Schaumberger übersetzte die Onine-Diskussion in Gebärdensprache.

Fragen und Antworten

In der abschließenden Fragerunde, in der Moderatorin Lisa Nimmervoll Fragen aus dem STANDARD-Forum+ an die Expert*innen richtete, ging es um Meinungsbubbles, das verlorene Vertrauen in die Medien und den Umgang mit Verschwörungstheorien im eigenen Familien- und Freundeskreis.

Anschließend an die Live-Diskussion beantworteten die Expert*innen noch Fragen der User*innen auf "derstandard.at“. Hier im Bild mit STANDARD-Redakteur Georg Mahr, der die Online-Diskussion im Forum+ begleitete und so den Leser*innen ermöglichte, sich während der Veranstaltung zum Thema auszutauschen. (Text: Barbara Wohlsein / Fotos: © derknopfdruecker.com)

Insgesamt haben 661 Personen mit verschiedenen Endgeräten den Livestream aufgerufen. Die Verweildauer betrug durchschnittlich 15 Minuten. Für die Live-Diskussion interessierten sich vor allem junge Zuseher*innen: 32 Prozent waren zwischen 18 und 24, 67 Prozent zwischen 25 und 34 Jahre. Über 70 Prozent der Zugriffe kamen aus Österreich, aus Deutschland klickten 17 Prozent auf den Stream. Damit die Online-Diskussion reibungslos ablaufen konnte, war Einiges an Technik notwendig.