Gestiftete Gotik: Wie die Stadtkirche zum Steffl wurde
| 20. Juni 2018Nach 300 Jahren Aus- und Umbau stand der "Steffl" so, wie WienerInnen und Reisende ihn heute kennen. Wer den mittelalterlichen Bau finanzierte und welche Rolle Fürst und Teufel dabei spielten, hat Barbara Schedl vom Institut für Kunstgeschichte in ihrem FWF-Projekt aufgearbeitet.
Mit Mythen und Sagen behaftet, war der Bau von St. Stephan lange Zeit unzureichend erforscht. Wo heute der Stephansdom als Wahrzeichen in den Himmel ragt, wurde 300 Jahre lang gehämmert, gemauert und getauft. Der Kirchenbetrieb legte keine Pause ein. Wie die Baustelle mit der Liturgie Hand in Hand ging, war bis vor wenigen Jahren noch unklar. Barbara Schedl vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien schließt diese Lücke und erforscht in ihrem aktuellen FWF-Projekt, wie der Stephansdom zu dem Kultobjekt wurde, das er heute ist.
Als Grundlage dient Schedl jener Schriftquellenkatalog, den die Wissenschafterin bereits in einem Vorgängerprojekt zum Bau des Stephansdom zusammengetragen hat: Urkunden und Baurechnungen, kurze Mitteilungen und Erzählungen ergeben ein buntes Kapitel Baugeschichte, das im 14. Jahrhundert mit dem Wunsch der Wiener BürgerInnen nach Veränderung beginnt.
Neu neben alt
Bis etwa 1320 stand in der Mitte der Wiener Innenstadt eine kompakte romanische Kirche mit festen Mauern und kleinen Fenstern – wenig einladend für das aufstrebende Bürgertum. "Zu einer Zeit, als in Frankreich bereits hochgotisch gebaut wurde, war die Kirche für die wachsende Stadt zu unmodern und auch zu klein", erklärt Schedl. Das Pfarrgebiet umfasste damals bereits die Wiener Innenstadt und unter anderem die Vororte Penzing, Schwechat und Oberlaa.
Die Stadt begann mit dem Ausbau – Stück für Stück wurde der alte Bau abgetragen, bis von der romanischen Kirche nur noch die beiden Türme im Westen und das Riesentor übrig blieben. Schon früh war das heutige Aussehen klar, allerdings dauerte es dann mehr als 100 Jahre, bis die Außenmauern der spätgotischen Kirche fertig gestaltet waren. Fenster wurden anfangs mit Netzen oder Tierhäuten geschlossen, später mit einfachem Putzglas. Bunte Glasbilder wurden erst eingesetzt, sobald ein Geldgeber gefunden war.
Habsburgerherzog Rudolf der IV. (1339-1365), der als Rudolf der Stifter in die Geschichte einging, initiierte nicht nur die Erweiterung des Kirchenlanghauses, sondern gründete 1365 auch die Universität Wien – die "Alma Mater Rudolphina" und schuf damit die älteste bestehende Universität im deutschen Sprachraum. Mehr zur Gründung der Universität Wien. (© Wikimedia Public Domain)
Der Altar als Marketinginstrument
Gebaut wurde nach und nach, so dass der Kirchenbetrieb oft noch im Rohbau weiterging. Damit die Einnahmen nicht versiegten, wurde jeder zusätzliche Raum, war er auch noch so provisorisch, sofort mit einem Altar oder einer Bildstatue ausgestattet. Schedls These: Geweihte Altäre regten die Bevölkerung zum Spenden an, wodurch weitergebaut werden konnte. "Die Mechanismen dieses Sponsorings und die Finanzierung des Baus sind das Spannendste an der Baugeschichte", schildert Schedl ihr Forschungsinteresse.
Denn der Landesfürst Rudolph IV. gab zwar den Anstoß zum Ausbau der Kirche, das Geld musste aber von anderen kommen. Durch Ablassverkäufe holte die Kirche Geld in die Kassa und die BürgerInnen spendeten gleichzeitig für ihr eigenes Seelenheil. Dies taten sie so reichlich, dass es während der gesamten von Schedl untersuchten Bauzeit nie einen finanziellen Engpass gab. Bruderschaften, Adelige und auch einfache BürgerInnen stifteten Geld, Häuser und Pelze, um in ihrem Gedenken eine Messe lesen zu lassen.
Die Publikation zum Forschungsprojekt "St. Stephan in Wien. Die gotische Kirche im Bau, 1200 – 1500" beschäftigt sich mit der chronologischen Baugeschichte und den gesellschafts- und kirchenpolitischen Problemen rund um den Kirchenbau. Die Buchpräsentation fand am 20. Juni am Dachboden der Stephanskirche statt. (© Böhlau Verlag)
Teuflische Sagen
Das Bauprojekt war nicht nur finanziell erfolgreich: "Durch die schlanke, hohe Spitze des Südturms galt dieser einige Jahre lang als höchstes Bauwerk Zentraleuropas", erzählt Schedl. "Doch die technischen Probleme, die beim Bau auftraten, verzögerten den Bau des Nordturms." Eine ganz andere Geschichte erzählt die Legende um Hans Puchsbaum, der es angeblich nur durch einen Pakt mit dem Teufel zum Baumeister des Nordturms schaffte. Eines Nachts, hoch oben auf dem Gerüst, sah er seine Liebste über den Stephansplatz spazieren, rief nach ihr und brach so den Schwur, keine Heiligen anzurufen. Er stürzte in den Tod und der Nordturm wurde nie fertiggestellt – so die Legende. Für einen teuflischen Pakt fand die Forscherin keine Belege. Dass Unfälle beim Bau einer Kirche in der damaligen Zeit dem Teufel zugeschrieben wurden, hält Schedl aber für realistisch.
Als Prestigebau zog der Stephansdom Handwerker aus ganz Europa an – doch trotz der Größe der Baustelle war die Kunsthistorikerin von der geringen Anzahl der Arbeiter überrascht: Rechnungen zeigen, dass von April bis Oktober nur etwa zehn bis 15 Bauarbeitern pro Woche Lohn ausgezahlt wurde. Nur die Steinmetze hatten das ganze Jahr über zu tun: das meistgenutzte Baumaterial, große Steinquader, wurden in den Steinbrüchen Hietzing und Atzgersdorf geschlagen und mit Fuhrwerken ins Zentrum geführt. Das Bauholz kam über die Donau geflossen.
Wissenschaft im Herzen der Stadt: Das Institut für Kunstgeschichte ist eines von 16 Instituten der Universität Wien, die am Campus angesiedelt sind. Der 96.000m² große Campus auf dem Areal des ehemaligen AKH wurde 1998 offiziell eröffnet. Anlässlich des 20-Jahr-Jubiläums präsentiert die Universität Wien am Campus aktuelle Wissenschaft im Rahmen unterschiedlicher Formate. (© Universität Wien)
Baugeschichte und religiöse Rituale
Die Baugeschichte des Mittelalters hat Schedl abgeschlossen. Mit dem Steffl aber noch lange nicht: "Die Mittelalterliturgie und die Organisation von Prozessionen rund um die Kirche werden mich weiter beschäftigen", so Schedl. Zudem möchte sie die Baugeschichte des Doms bis ins 19. Jahrhundert aufarbeiten. "Wir haben jetzt einen guten Überblick über die Schriftquellen des Mittelalters. Gemeinsam mit der Dombauhütte werden wir die Bauforschung fortführen", so die Wissenschafterin. (pp)
Das Projekt "St. Stephan in Wien. Bildwerke und Kultobjekte im Kontext der Schriftquellen" unter Leitung von Doz. Dr. Barbara Schedl vom Institut für Kunstgeschichte der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien läuft von November 2015 bis Oktober 2018 und wird vom FWF gefördert.