"Unser Komfort muss zur Debatte stehen"

Noch kommt man mit Kohle weiter als mit Wind. Warum die Wirtschaft von allein keine Maßnahmen gegen den Klimawandel setzt und das Forschen nach erneuerbaren Energien mehr Anreize braucht, erklärt Franz Wirl vom Institut für Betriebswirtschaftslehre im uni:view Gespräch zur Semesterfrage.

uni:view: Welche Rolle spielt das Thema Klimawandel in den Wirtschaftswissenschaften?
Franz Wirl:
Fast 90 Prozent der Energie, die wir verbrauchen, kommt von fossilen Energieträgern, die durch ihre CO2-Emissionen ein Haupttreiber des Klimawandels sind. Die Wirtschaft wird deshalb oft als Verursacher des Klimawandels verdammt. Aber das wäre falsch, denn ohne die industrielle Revolution und der Verwendung von fossiler Energie wären neun von zehn Menschen heute nicht auf der Welt.

uni:view: Warum nicht?
Wirl:
Erneuerbare Energien haben eine sehr geringe Energiedichte. Das hat Städte im vorindustriellen Zeitalter sehr beschränkt. Man kommt mit fossiler Energie viel weiter. Erneuerbare Energien wie Holz musste man praktisch vor Ort verbrauchen. Städte konnten daher nur an Flüssen, wo die Transportkosten vor allem auch energetisch gesehen günstiger waren, groß werden.

uni:view: Mittlerweile besitzen wir eine größere Bandbreite an erneuerbaren Energien. Könnte am Strommarkt eine Energiewende gelingen?
Wirl:
In Österreich könnte es eventuell gelingen. Allerdings macht Strom nur etwa 20 bis 25 Prozent des gesamten Energiebudgets aus. Wenn wir wirklich eine Energiewende machen wollen, müsste die Kraftwerkskapazität enorm erhöht werden. Das Problem, dass Strom in diesem Volumen de facto nicht über die Saisonen hinweg lagerbar ist, ist dann aber noch nicht gelöst.

uni:view: Durch technische Entwicklung wie Smart Homes kann man den Stromverbrauch besser steuern und Engpässe vermeiden. Kann das der Energiewende helfen?
Wirl:
Ja, allerdings nur beschränkt. Wir müssten große Mengen an Energie vom Sommer in den Winter transportieren und das ist nicht möglich. Wenn wir die Alpen mit Speicherseen zupflastern und die Sonnenenergie mit Wasser hochpumpen, ist das vielleicht vorstellbar. Aber aufgrund der Nichtlagerbarkeit von Strom kann man eine Energiewende selbst am Stromsektor nur sehr schwer durchführen. Und wie soll das erst in Deutschland und den Niederlanden funktionieren?

uni:view: Und wenn technische Geräte effizienter werden und wir dadurch weniger Strom brauchen …
Wirl:
Wenn wir alles effizienter machen, tritt ein gegenläufiger Effekt ein: Je effizienter eine Anlage ist, desto mehr wird sie genutzt, und der stromsparende Effekt der Effizienz ist zumindest teilweise dahin. Dieser Effekt sollte zumindest seit Jevons Aufsatz aus dem 19. Jahrhundert zur Kohlenutzung bekannt sein. Ein gutes Beispiel sind Heizkosten: Sogar Leute mit viel Geld haben Angst vor nicht abschätzbaren laufenden Kosten. Aus diesem Grund ist auch die Größe der Häuser beschränkt. Mit Passiv- und Niedrigenergiehäusern kann man dagegen kleine Paläste bauen.

uni:view: Das heißt, Sie halten den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen für unmöglich?
Wirl:
Zumindest für sehr schwierig. Die einzige Lösung wäre, erneuerbare Energien skalierbar zu machen auf das, was wir momentan brauchen – das sind über 200 Millionen Fass Rohöläquivalente pro Tag und das ohne Bedarfssteigerung und ohne Beseitigung von Energiearmut. Und diese Skalierung muss relativ kostengünstig sein. Für mich liegt die einzige Lösung deshalb in Forschung und Entwicklung.

Das Forschen nach erneuerbaren Energien braucht mehr Anreize – Franz Wirl vom Institut für Betriebswirtschaftslehre im Interview zur aktuellen Semesterfrage "Wie retten wir unser Klima?".

uni:view: Welche politischen Rahmenbedingungen braucht die Forschung?
Wirl:
Was in der Politik passiert, ist leider ein Desaster auf mehreren Ebenen. Anstatt Forschung und Entwicklung zu forcieren, werden die weniger effizienten Alternativenergien stärker gefördert. So wird in Österreich der Kauf eines Elektroautos mit 6.000 Euro unterstützt, ist zusätzlich von der Vignette befreit und trägt damit nichts zur Erhaltung der Straßen bei. Dabei spart das Elektroauto keine einzige Tonne CO2

uni:view: Warum ist ein Elektroauto nicht energiesparender als ein Fahrzeug, das mit fossilen Brennstoffen betrieben wird?
Wirl:
Wenn wir in Österreich Strom beziehen, kommt dieser zwar zu zwei Dritteln aus Wasserkraft. Nur ist das Elektroauto eine zusätzliche elektrische Anwendung und fährt somit zu 100 Prozent mit fossiler Energie, denn die zwei Drittel Wasserkraft sind schon für andere Anwendungen wie Beleuchtung verbraucht. Selbst wenn man die hohe Effizienz des Eletromotors berücksichtigt, zahlen wir sehr hohe Kosten für eine bestenfalls minimale Reduktion der CO2-Emissionen.

uni:view: Wäre ein Szenario denkbar, in dem Elektroautos Sinn machen?
Wirl:
Ja, wenn der gesamte Strom aus erneuerbaren Energien stammt. Solange für ein Elektroauto ein kalorisches Kraftwerk angeworfen werden muss, liefert es keinen Beitrag zu einer Klimapolitik, aber es kann regionale Umweltprobleme lösen.

uni:view: Warum findet die Politik keine effizienteren Maßnahmen?
Wirl:
Die Politik ist nicht bindungsfähig. Sie könnte eine CO2-Steuer einführen. Das wäre ein starker Anreiz für die Forschung, Alternativen zu suchen. Aber wenn dann ein Unternehmen eine Lösung findet, die weitaus günstiger für die BenutzerInnen ist, als die Steuer zu zahlen, dann hat die Regierung einen starken Anreiz, die Steuer zu reduzieren und damit die Gewinne der Investoren zu mildern. Antizipieren Unternehmen das, dann werden sie nur sehr vorsichtig in solche Techniken investieren. Kurz gesagt, eine Regierung kann zwar Anreize setzen – sie kann sie aber auch wieder wegnehmen. Das macht es für private Investitionen in die Forschung schwierig.

uni:view: Können hier globale Abkommen helfen?
Wirl:
Die Freiwilligkeit ist bei internationalen Verträgen das größte Problem. Wenn es in Zukunft ein Abkommen gibt, das alle Länder verpflichtet, x Prozent CO2 einzusparen, heißt das, dass alle, die jetzt schon Maßnahmen setzen, im Nachteil sind. Denn aus Sicht der Staaten haben diejenigen die beste Verhandlungsposition, die zu Beginn des Abkommens einen hohen CO2 Verbrauch haben. Die Freiwilligkeit und das Hinausschieben von bindenden Verträgen ermutigt Länder also dazu, ihre CO2-Quote hochzutreiben. Eine Alternative dazu wäre, die Verhandlungen über einen CO2-Preis zu führen anstatt für hundert und mehr CO2-Quoten.

Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. In Interviews und Gastbeiträgen liefern die ForscherInnen vielfältige Blickwinkel und Lösungsvorschläge aus ihrem jeweiligen Fachbereich. Die Semesterfrage im Sommersemester 2018 lautet "Wie retten wir unser Klima?". Zur Semesterfrage

uni:view: Schaden die Folgen hoher CO2-Emissionen langfristig nicht auch der Wirtschaft?
Wirl:
In den Industrieländern ist die Auswirkung auf wirtschaftliche Aktivitäten sehr gering. Selbst eine Verdoppelung der CO2-Konzentration, das wären plus drei Grad, würde z.B. für die USA nur ein um drei Prozent geringeres Bruttoinlandsprodukt über einen Zeitraum von hundert Jahren bedeuten. Die Landwirtschaft würde Auswirkungen spüren, aber manche Flächen im Norden würden sogar profitieren. Das gleiche gilt für Europa. Südspanien hätte wahrscheinlich ein Problem, aber Skandinavien könnte bestimmte Produkte billiger produzieren. Daraus folgt: Ohne Sanktionen und Bestrafungen wird die Wirtschaft das Klima nicht retten.

uni:view: Welche Auswirkungen hätte eine verbindliche, hohe CO2-Steuer auf die Wirtschaft?
Wirl:
Hohe Mehrkosten und eine geringere Produktion. Das darf uns allerdings nicht stören, wenn wir das Klimaproblem ernst nehmen. Auch unser Komfort muss zur Debatte stehen. Wir müssen diskutieren, ob jeder und jede auf 50 Quadratmetern beheizter Fläche leben und einen Mobilitätsbedarf von zigtausenden Kilometern im Jahr haben sollte.

uni:view: Wie lange haben wir noch Zeit, eine Lösung zu finden und wie kann diese aussehen?
Wirl:
Je früher, desto besser. Wichtig wäre, mit hohen verpflichtenden CO2-Steuern Anreize zu setzen und im Bereich der erneuerbaren Energien viel Forschung und Entwicklung zu betreiben. Der Klimawandel ist ein sehr komplexes Problem, das mehrere Aspekte umfasst: Es ist eine globale Tragödie der Allmende, die ohne kostengünstige Substitute nicht gelöst werden kann. Es ist ein Bestandsproblem, da nicht die momentanen Emissionen das Problem sind, sondern deren Akkumulation seit über 300 Jahren. Es ist ein technisches Problem, weil wir keine skalierbaren, finanzierbaren und lagerfähigen Alternativen finden und es ist ein politisches Problem, weil internationale Verträge und Versprechen nicht eingehalten und durchgesetzt werden. (pp)

Franz Wirl ist Professor am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Er forscht und lehrt u.a. zu den Themen Energiemärkte und Ressourcenökonomie.

Die Foto- und Videoaufnahmen für die Interviews zur Semesterfrage "Wie retten wir unser Klima?" sind im Glashaus des UZA I in der Althanstraße entstanden. In den Glashäusern des Fakultätszentrums Ökologie der Universität Wien werden mehr als 480 verschiedene Species kultiviert, um auf eine ausreichende Auswahl an Pflanzenmaterial aus den verschiedenen Klimazonen für Unterrichtszwecke sowie für wissenschaftliche Experimente im größeren Umfang zurückgreifen zu können.