Kastalia: "Männer erhalten mehr Lohn als Frauen"

Die Nymphe Kastalia ist als Statue im Arkadenhof der Universität Wien verewigt und weiß als Zeitzeugin der letzten hundert Jahre so einiges zu berichten. Im Interview mit der Abteilung Gleichstellung und Diversität räumt sie mit einem Mythos auf: den Gender Pay Gap gibt es wirklich.

Was genau ist eigentlich der Gender Pay Gap?
Kastalia:
Der Gender Pay Gap ist der Unterschied in der Bezahlung zwischen den Geschlechtern. Männer erhalten bei uns durchschnittlich immer noch mehr Lohn als Frauen, das heißt, hier gibt es eine Differenz. Der Gender Pay Gap drückt aus, wie groß diese Differenz ist.

Der Gender Pay Gap (GPG) ist die Gehaltsdifferenz zwischen Männern und Frauen. Der unbereinigte GPG gibt die Differenz der Stundenlöhne ohne weitere Differenzierung zum Beispiel nach Beschäftigungsausmaß an. Der bereinigte GPG hingegen berücksichtigt zum Beispiel auch Branchen- und Hierarchieunterschiede und andere Erklärungen, die nur indirekt mit dem Geschlecht zu tun haben.


Und wie groß ist der Gender Pay Gap jetzt bei uns?
Kastalia:
In Österreich lag der Gender Pay Gap 2018 bei knapp 20 Prozent. Das heißt, Frauen verdienen im Schnitt pro Stunde brutto um ein Fünftel weniger als Männer. Damit liegt Österreich fast fünf Prozentpunkte über dem europäischen Gender Pay Gap. Anders ausgedrückt arbeiten Frauen im Vergleich zu Männern mehr als zwei Monate im Jahr unbezahlt. Immerhin sehen wir aber eine Reduktion des Unterschiedes in den letzten zwei Jahrzehnten.  

Der Equal Pay Day wird jedes Jahr berechnet und bezeichnet den Tag im Jahr, bis zu dem Frauen – im Vergleich zu Männern – unbezahlt arbeiten. 2021 war das der 21. Februar (nur bezogen auf die Vollzeitbeschäftigten).


Frauen arbeiten doch auch viel öfter Teilzeit als Männer.
Kastalia:
Richtig. Aber wir haben bisher vom Stundenlohn gesprochen, da ist es egal ob Teilzeit oder Vollzeit gearbeitet wird. Würden wir das Beschäftigungsausmaß gar nicht berücksichtigen, dann läge der Gender Pay Gap 2018 sogar bei 37 Prozent. Wenn wir nur Vollzeitbeschäftigte miteinbeziehen würden, wären wir bei 15 Prozent.

Frauen arbeiten aber auch öfter in schlechter bezahlten Branchen und niedrigeren Positionen. In der IT wird zum Beispiel besser bezahlt als im Sozialbereich. Löst sich der Gender Pay Gap nicht auf, wenn wir nicht Äpfel mit Birnen vergleichen?
Kastalia:
Nein, auch wenn man den Gender Pay Gap um diese Faktoren bereinigt, ist er weiterhin da, wenn auch ein bisschen kleiner: 2014 lag dieser Unterschied in Österreich bei 14 Prozent. Das heißt, Frauen verdienen für gleiche Arbeit weiterhin weniger als Männer. Ganz abgesehen davon sollten wir uns die Frage stellen, warum Frauen eigentlich mehr Teilzeit arbeiten als Männer oder warum sie die Jobs machen, die schlechter bezahlt werden.

Haben Sie Theorien dazu? 
Kastalia:
Vieles ist schon erklärt: Frauen sind bei uns immer noch diejenigen, die hauptsächlich für Kinderbetreuung und Haushalt zuständig sind. Daneben geht sich einfach oft kein Vollzeitjob aus. Selbst wenn Frauen Vollzeit arbeiten: Männerdominierte Branchen sind besser bezahlt und gerade dort haben es Frauen besonders schwer. Es gibt einfach immer noch zu viele Stereotype in unseren Köpfen: dass Frauen weniger technisch begabt oder Männer weniger fürsorglich sind. In Wahrheit ist es so, dass wir alle das so lange gesagt bekommen, bis wir es glauben. Dann kommt noch dazu, dass Arbeitsfelder, die von Frauen erobert werden, oft ziemlich rasch an Einkommen und Ansehen verlieren. Wenn wir auf den Sekretär zurückschauen, sehen wir, dass es eine wichtige Position war. Ein kleiner Rest davon ist noch beim Status von Generalsekretären und Staatssekretären zu finden. Je mehr Frauen aber angefangen haben, als Sekretärin zu arbeiten, desto geringer wurden Ansehen und Bezahlung. Oder umgekehrt: Anfangs war das Programmieren von Computern Frauenarbeit, auch weil es als rein unterstützende Tätigkeit wahrgenommen wurde. Inzwischen ist es eine angesehene – und sehr gut bezahlte – Tätigkeit, die von Männern dominiert wird.
 
Es gibt also viele Erklärungen für den Gender Pay Gap…
Kastalia:
Ja, Erklärungen gibt es. Aber selbst wenn wir alle Erklärungen berücksichtigen und es so wäre, dass Frauen für die gleichen Jobs gleich bezahlt werden wie Männer, blieben doch diese Tatsachen: Frauen machen mehr Teilzeitjobs, arbeiten in schlechter bezahlten Branchen und sind seltener in höheren Positionen zu finden. Das bedeutet, dass Frauen in absoluten Zahlen einfach weniger im Börserl haben als Männer. Das klingt für mich nicht besonders gerecht. In weiterer Folge heißt das auch, dass sie immer noch von den Gehältern ihrer Männer abhängig sind oder dass Frauen geringere Pensionen bekommen – weswegen sie auch deutlich öfter von Altersarmut betroffen sind als Männer. Im Schnitt erhalten Frauen in Österreich 50 Prozent weniger Pension als Männer.

Und wie ist es an der Universität Wien?
Kastalia:
An der Universität Wien haben alle Mitarbeiter*innen die Möglichkeit, Einsicht in die Gehaltsunterschiede in ihrer Gehaltsgruppe zu nehmen.  Außerdem wird der Gender Pay Gap bei den kollektivvertraglichen Professuren veröffentlicht. Dieser lag 2019 bei neun Prozent  – also schon besser als der österreichische Durchschnitt, aber leider ist dennoch ein Gehaltsunterschied vorhanden. Da müssen wir noch dran arbeiten!  

Die Nymphe Kastalia ist auf der Flucht vor der sexuellen Belästigung des Gottes A. in eine Quelle gestürzt, die danach sprichwörtlich zur Inspirationsquelle für vor allem männliche Dichter wurde. Seit hundert Jahren ist sie als Statue im Arkadenhof der Universität Wien zur Ruhe gekommen. 2009 hat sie sich angesichts der fehlenden Repräsentation von Wissenschafterinnen im Arkadenhof das letzte Mal zu Wort gemeldet, um deutlich zu machen, dass sie genug hat. Nun ist es dem Team der Gleichstellung und Diversität gelungen, sie für eine Interviewreihe zum Thema Mythen der Gleichstellung zu gewinnen.

Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Abteilung Gleichstellung und Diversität stellen wir vor: Gender im Fokus. Studium und Karrierewege in Zahlen.